Die Geschichte des Vereins für Fraueninteressen in München

Der Verein für Fraueninteressen e.V. wurde 1894 zunächst als „Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau“ von Anita Augspurg gegründet. Zum Gründungskreis, einem Zusammenschluss von Frauen des gebildeten Münchner Bürgertums, gehörten unter anderem auch Sophia Goudstikker, mit der Anita Augspurg seit 1887 gemeinsam das Fotoatelier „Elvira“ führte, und die späteren Vorsitzenden Ika Freudenberg und Emma Merk.
Der spätere „Verein für Fraueninteressen“ entwickelte sich in den folgenden Jahren zur Keimzelle der bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern. Er engagierte sich für die Förderung der Bildung von Frauen und Mädchen und unterstützte erwerbstätige Frauen. Frauen sollten Zugang zu allen Ausbildungseinrichtungen und Berufen erhalten.
Früh stand für den Verein das soziale Engagement im Vordergrund – und das gilt bis heute. Die größtenteils aus gebildeten und wohlsituierten bürgerlichen Familien stammenden Frauen der Gründungs-Ära nahmen soziale Ungleichheit als ungerecht wahr. Aus den sozialen Initiativen des Vereins entwickelte sich bald eine professionelle Sozialarbeit und die moderne Form des bürgerschaftlichen Engagements, die Freiwilligenarbeit.
Mitglieder von der Gründung bis 1916
Die Mitglieder-Verzeichnisse der Jahre 1896 bis 1916 sind fast vollständig überliefert. Viele bekannte Namen sind in diesen Listen zu finden, zum Beispiel Helene Böhlau, Ricarda Huch, Carrry Brachvogel oder Gabriele Münter. Auch Männer waren Mitglieder, unter anderem Rainer Maria Rilke und Hermann Obrist. Über viele Mitglieder ist jedoch nur wenig oder gar nichts bekannt – und das möchte eine Gruppe von Mitgliedern des Vereins gerne ändern. Im Projekt “Geschichts-Atelier Elvira”, benannt nach dem berühmten Foto-Atelier von Anita Augspurg und Sophia Goudstikker, recherchieren sie die Lebensdaten auch der weniger bekannten Mitglieder.
Gründung und Gründungskreis

Gegründet wurde der Verein im April 1894 zunächst unter dem etwas sperrigen Namen „Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau“. Nach den bayerischen und preußischen Vereinsgesetzen war Frauen der Beitritt zu politischen Vereinen seit 1850 verboten. Dabei wurde unter „politisch“ im Großen und Ganzen alles gefasst, was öffentliche Angelegenheiten berührte. Erst mit Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetz im Mai 1908 durften Frauen politischen Parteien oder Vereinen beitreten. Daher beschloss Anita Augspurg, eine „Gesellschaft“ zu gründen, mit „gesetzlich unanstößige[m] Anstrich“, wie sie am 1. Februar 1894 an Hedwig Kettler schrieb. 1896 nannte sich die bisherige Gesellschaft um in „Verein für geistige Interessen der Frau“, 1899 erfolgte eine weitere Umbenennung in „Verein für Fraueninteressen“ – und so heißt er bis heute. Der Name wurde kürzer, die Liste der Mitglieder aber wuchs in den Folgejahren stetig.

Gründungsmitglieder 1894 | |
---|---|
Anita Augspurg | Helene Lange |
Amalie Bauer | Elisabeth Lindemann |
Friederike von Belli de Pino | Emma Merk |
Ika Freudenberg | Eda Metger |
Sophia Goudstikker | Johanna Szelinska |
Marie Haushofer | Emmy Preußer |
Elvira von Barth von und zu Harmating | Mathilde Stapf |
Louise Hecker |
Von 15 Frauen können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie im Jahr 1894 Mitgründerinnen der “Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau”, dem späteren Verein für Fraueninteressen, waren. Anita Augspurg berichtet am 26.4.1894 in einem Brief an Hedwig Kettler von der Gründung der “Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frau” und über die Wahl eines elfköpfigen Gründungsvorstandes. Statt elf Frauen listet sie dann aber 13 Frauen auf (vgl. Abb.). Auch Sophie Goudstikker und Emmy Preußer, die damaligen Lebensgefährtinnen von Anita Augspurg und Ika Freudenberg, gehörten zu den Gründungsmitgliedern.
Prägende Zeit unter der Führung von Ika Freudenberg

Nachdem Anita Augspurg den Verein 1899 verlassen hatte, führte Ika Freudenberg den alleinigen Vorsitz und prägte den Verein maßgeblich bis zu ihrem Tod 1912.
1896 schloss sich der Verein dem Bund Deutscher Frauenvereine an und zählte sich selbst zum fortschrittlichen und “modernen” Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung. Sein Ziel war die "systematisch auf allen Gebieten durchgeführte und vollgültige Teilnahme der Frauen an unserem gesamten öffentlichen Leben“, so formulierte es Ika Freudenberg auf der Generalversammlung des Vereins für Fraueninteressen am 25. Februar 1904 (vgl. 10. Jahresbericht (1903), S. 10). Dazu gehörten natürlich auch das aktive und passive Wahlrecht.
Mit der 1898 gegründeten Rechtsbelehrungs- und Rechtsschutzstelle für Frauen, der 1900 eingerichteten Centralstelle für Wohlfahrtseinrichtungen, der Abteilung für Soziale Arbeit (1906) sowie der Auskunftsstelle für Frauenberufe (1908) wurde der Verein in München bekannt und genoss hohes Ansehen in der Bevölkerung.
Der vom Verein im Oktober 1899 erstmals organisierte Allgemeine bayerische Frauentag gilt als Ausgangspunkt der bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern.
In den Folgejahren gründete der Verein Ortsgruppen in 35 bayerischen Städten und fasste sie später zum Hauptverband bayerischer Frauenvereine zusammen. Den Vorsitz übernahm Ika Freudenberg. Ihre Nachfolgerin in Verein und Verband, Luise Kiesselbach, gründete 1914 den Stadtbund Münchener Frauen-Vereine als Zusammenschluss aller Münchner Vereine, die sich zur organisierten Frauenbewegung zählten.
Mitglieder zur Zeit der "Münchner Moderne"

Als Teil der “Münchner Moderne” übte der Verein große Anziehungskraft aus. Zahlreiche Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen, Malerinnen sowie Vertreterinnen des modernen Kunsthandwerks wurden Mitglied oder besuchten die Veranstaltungen des Vereins. Zu den ersten Vereinsfrauen gehörten etwa die Schriftstellerinnen Emma Merk (nach ihrer Eheschließung mit Max Haushofer Haushofer-Merk, siehe Abbildung rechts),Gabriele Reuter, Helene Böhlau, Carry Brachvogel und ab 1913 Ricarda Huch.
Auch Männer konnten beitreten. 1897 finden sich 237 Personen in der Mitgliederliste, darunter 22 Männer – unter anderem Max Haushofer, Rainer Maria Rilke, August Endell, Hermann Obrist und Ernst von Wolzogen.
Professorenfrauen wie die Ehefrauen des Physikers Leo Graetz, des Anthropologen Heinrich von Ranke oder beispielsweise Hedwig Pringsheim, die Ehefrau des Mathematikprofessors Alfred Pringsheim und spätere Schwiegermutter Thomas Manns, waren dabei. Des weiteren finden sich Adelheid Furtwängler, die Frau des Archäologen Adolf Furtwängler und Mutter des Dirigenten Wilhelm Furtwängler sowie Margarethe Quidde (geborene Jacobsen), Ehefrau des Historikers und Politikers Ludwig Quidde, in den frühen Mitgliederlisten des Vereins.
Daneben gehören Frauen aus adligen Familien wie Friederike von Belli de Pino, geborene von Aretin, Gattinnen von Hofbeamten, Regierungsbeamten und Offizieren, von Anwälten, Ärzten, Geschäftsleuten und Bankdirektoren wie auch die Ehefrauen und Töchter von Schriftstellern und Malern, Architekten und Designern dazu. Ebenso sind bildende Künstlerinnen, Kunstgewerblerinnen und Malerinnen zahlreich vertreten, so etwa Gabriele Münter oder Betty Nägeli. Zu den erwerbstätigen Mitgliedern zählte auch die wichtige Gruppe der Lehrerinnen.
Überkonfessionell, überparteilich und offen für Frauen unterschiedlicher Weltanschauung – der Verein sah sich als Teil der bürgerlichen Emanzipationsbewegung in Deutschland. So gehörten ihm neben liberalen auch sozialdemokratische Frauen an. Julia von Vollmar, Ehefrau des Vorsitzenden der Bayerischen Sozialdemokraten, und die spätere Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf sind prominente Beispiele dafür.
“Heimatdienst”: 1914 bis 1918

Während des Ersten Weltkriegs stellte der Verein seine frauenpolitischen Ziele zurück. Die laufende Arbeit wurde unterbrochen und die Mitglieder übernahmen neue Aufgaben zum Zweck der Kriegshilfe. Sie gaben Kurse für die Verwundetenpflege, organisierten Nähstuben für Soldatenfrauen oder arbeiteten in der städtischen Kriegsfürsorge mit.
1913 hatte Luise Kiesselbach den Vereinsvorsitz übernommen (siehe Abbildung links). Bei Kriegsausbruch hatte die Stadt München die Frauen aufgerufen, sich an öffentlichen Fürsorgemaßnahmen für die Familien der Kriegsteilnehmer zu beteiligen. Die Frauenvereine entschlossen sich zur Eingliederung in den städtischen Verwaltungsapparat. Luise Kiesselbach vertrat die vereinigten Münchner Frauenvereine im Vorstand des Hauptwohlfahrtsausschusses. Sie leitete die „Frauenhilfe“ im Bezirkswohlfahrtsausschuss Schwabing. Im Jahr 1916 übergab die Stadt München der Frauenhilfe im Bezirksausschuss Schwabing das Gabrielenheim in Tutzing. Es diente zunächst als Aufenthalt für erholungsbedürftige, unterernährte Münchner Soldatenkinder. Ab 1918 wurden die Führung und der Betrieb des Gabrielenheims dem Verein für Fraueninteressen übertragen; das Heim wurde als Erholungsheim für Münchner Schulkinder weitergeführt.
Kinderfürsorge und Mittelstandshilfe: 1918 bis 1933

Luise Kiesselbach war bis zu ihrem Tod im Jahr 1929 als Stadträtin für die linksliberale DDP aktiv. Die Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf, Vereinsmitglied seit 1908, gehörte von 1919 bis 1933 der SPD-Fraktion an. Zahlreiche Mitglieder waren beruflich oder ehrenamtlich in der städtischen Verwaltung engagiert und beteiligten sich am Aufbau sozialstaatlicher Strukturen. Sie versammelten sich vereinsintern im Referat für kommunale und soziale Fragen. Die Gründung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes München (1922) und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Bayern (1924) ging auf die Initiative Luise Kiesselbachs und damit des Vereins für Fraueninteressen zurück.
Haupttätigkeitsfelder des Vereins auf sozialem Gebiet waren in den zwanziger Jahren die Kinderfürsorge und die Mittelstandshilfe. Zur Finanzierung der Arbeit betrieb der Verein seit 1928 Milchkioske im Münchner Stadtzentrum. Das Landwirtschaftsministerium hatte dazu aufgerufen, den Alkoholkonsum zu senken und den Milchkonsum zu steigern. Mit den Kiosken konnte der Verein zur Volksgesundheit beitragen und Geld für seine soziale Arbeit verdienen. Der erste Milchkiosk wurde im Januar 1928 an der Maistraße auf dem Hof des Arbeitsamtes und der Ortskrankenkasse eröffnet (siehe Abbildung oben rechts) und hatte damit einen idealen Standort.
Weitere Informationen zur Geschichte des Vereins sind in Arbeit.
Einen Überblick über 100 Jahre Vereinsgeschichte finden Sie in der Jubiläumsfestschrift von Renate Lindemann. Ein bebildertes Exemplar können Sie im Vereinsarchiv einsehen.