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Eine vergessene Visionärin wiederentdeckt: Emma Haushofer-Merk (1854-1925)

Einblick in das Leben einer vergessenen Münchner Schriftstellerin und Gründungsmitgliedes unseres Vereins. Anlässlich ihres 100. Todestages wurde am 10. Juli 2025 in einem bewegenden Vortrag an Emma Haushofer-Merk erinnert. Die Rednerin Brigitte Kobayashi, eine Ururgroßnichte, gab persönliche Einblicke in das Leben einer Schriftstellerin, die als Gründungsmitglied des „Vereins für Fraueninteressen“ und des "Vereins Münchner Schriftstellerinnen" die Stadtgeschichte prägte, heute aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

 

Eine Familie starker Persönlichkeiten

Der Vortrag beleuchtete die faszinierende Familiengeschichte, die den Grundstein für Emmas emanzipatorisches Wirken legte.
Die starke Großmutter: Im Mittelpunkt stand Emmas Großmutter, Walburga Merk. Als Witwe übernahm sie im 19. Jahrhundert das Juweliergeschäft der Familie. Entschlossen kämpfte sie bei der Zunft für das Recht, Lehrlinge auszubilden, und führte das Geschäft zu höchstem Ansehen. Ihrem Sohn Eduard ermöglichte sie dadurch, seinem Wunsch nachzugehen und Kunstmaler zu werden, anstatt den Familienbetrieb zu übernehmen.

Künstler und Kaufleute

Emmas Vater Eduard Merk wurde ein bekannter Genremaler, während ihr Bruder Albert Merk einen florierenden Kolonialwarenladen in der Kaufingerstraße führte. Dessen dramatischer Brand im Jahr 1872 wurde von der neu organisierten Münchner Feuerwehr bekämpft – ein Ereignis, das Emma später in ihrem Roman “Drei Frauen” literarisch verarbeitete.

Literarisches Puzzlespiel

Eine Besonderheit von Emma Haushofer-Merks Werk ist die geschickte Vermischung von Realität und Fiktion. Sie integrierte reale Familienmitglieder, Orte wie das Elternhaus in der Augustenstraße und wahre Begebenheiten in ihre Romane und Novellen, was ihre Geschichten zu einem einzigartigen Zeugnis der Münchner Stadtgeschichte macht.

Emmas bleibendes Erbe

Emma Haushofer-Merk war nicht nur eine der besten Kennerinnen Altmünchens, sondern auch eine treibende Kraft in der Frauenbewegung. Das Gründungsmitglied engagierte sich unermüdlich im Vorstand des Vereins für Fraueninteressen: als Schriftführerin, ein Jahr als erste und sechs weitere Jahre als zweite Vorsitzende, sie leitete Jugendgruppen, arbeitete als Bibliothekarin. Im Schriftstellerinnenverein schuf sie wichtige Netzwerke für schreibende Frauen. Von Zeitgenossen wurde sie als „lebensfroh, gütig und geistig anregend“ beschrieben.

Der Abend war eine eindrucksvolle Erinnerung an eine Frau, die es wagte, alte Rollenbilder zu durchbrechen und sich für Literatur, Selbstbestimmung und die Rechte der Frau starkzumachen. 
Ihr Umzug in eine Wohnung in der Von der Tann Straße 15 brachte Emma mit ihren Nachbarinnen Anita Augspurg und Sophia Goudstikker (Atelier Elvira) zusammen – 1894 gehörten alle drei  zu den Gründungsmitgliedern des Vereins für Fraueninteressen. Die Frauen kombinierten bürgerliche Herkunft mit rebellischem Freiheitsdrang –  Emma Haushofer-Merks Motiv ihres späteren Romans “Die Lotterie der Liebe” (1929).

Zwischen zwei Welten: Emma Haushofer-Merks Weg zur “Femme Forte”

Der zweite Teil des Vortrags über Emma Haushofer-Merk tauchte tiefer in ihr persönliches Leben und ihre Motivation ein. Er enthüllte eine Frau, die bewusst ihren eigenen Weg wählte, familiäre Dramen in ihre Romane verwob und in einer Stadt im Umbruch ihre Stimme fand. Zahlreich erhaltene Briefe an die Freundin Christine Mayer-Doss, der Mutter unseres früheren Vereinsmitgliedes Martha Haushofer, geben einen Eindruck in das private und öffentliche Gedankengut der Frauenrechtlerin Haushofer-Merk.

Familie, Freiheit und Fiktion

Die Beziehungen zu ihren Geschwistern prägten Emma maßgeblich und dienten ihr oft als literarische Vorlage:
Eine bewusste Entscheidung: Als ihr Bruder Albert starb und sieben Waisenkinder hinterließ, lehnte Emma es ab, bei deren Erziehung eine führende Rolle zu übernehmen. Sie wusste, dass ihre modernen Ansichten mit denen ihrer frommen und pflichtbewussten Schwester Mina, die die Mutterrolle übernahm, kollidieren würden. Emma wählte die Freiheit und ihre „geliebte Einsamkeit“, um sich als Schriftstellerin entfalten zu können.

Unterstützung und Inspiration

Ihre engste Vertraute war ihre jüngere Schwester Laura. Emma unterstützte sie tatkräftig bei der Trennung von ihrem untreuen Ehemann – ein für die damalige Zeit mutiger Schritt. Lauras Schicksal wurde zur Vorlage für Emmas Roman “Die Lierbachs Mädeln”. Nach der Scheidung wurde Laura eine erfolgreiche Schneiderin in München, zu deren Kundinnen unter anderem die Familie von Thomas Mann zählte.

Literarische Rache und späte Liebe

Ein besonderes Highlight des Vortrags war die Enthüllung, wie Emma Haushofer-Merk ihre persönliche Geschichte mit dem langjährigen Witwer und ihrer großen Liebe, Prof. Max Haushofer, in einer Novelle verarbeitete.
Die Satire‐Novelle „Ihre Rache“ (1902) karikiert Emmas langjährige Beziehung zu Max Haushofer. Eine Schriftstellerin, die 16 Jahre lang von einem Professor verschmäht wird, nur damit dieser am Ende seinen „großen Irrtum“ erkennt – zu spät. Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung dieser literarischen Abrechnung kam es im wahren Leben doch noch zum Happy End: Emma Merk und Max Haushofer heirateten. Ihre späte, glückliche Ehe dauerte leider nur bis zu seinem Tod im Jahr 1907.

Das Geheimnis einer starken Frau

Woher nahm Emma ihre Kraft? Der Vortrag schloss mit einer faszinierenden Analyse: Emmas Elternhaus in der Schönfeldstraße lag genau zwischen zwei Welten: der konservativen, traditionsbewussten Münchner Altstadt und dem neuen, unkonventionellen Künstlerviertel vor den Toren der Stadt. 
Emma stand zwischen Festhalten und Fortschritt, zwischen Bürgertum und Bohème. Diese einzigartige Position ermöglichte es ihr, beide Seiten zu verstehen, aber ihren eigenen Weg zu wählen. Ihr letztes rebellisches Zeichen setzte sie mit ihrer Feuerbestattung – ein letzter Akt des Widerstands gegen die gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit. Sie hinterließ nicht nur ein reiches literarisches Werk, sondern auch das eindrucksvolle Beispiel eines selbstbestimmten Lebens. Emmas Lebensweg vereint künstlerische Freiheit, weibliche Solidarität und das Ringen um ökonomische Unabhängigkeit – Themen, die unser Verein bis heute bewegen.

Hinweis: Der vollständige Vortrag erscheint demnächst als Buchprojekt von Brigitte Kobayashi –mit weiteren Geschichten über Findelkinder, Brauereierben, Elefanten und Bankräuber in der Familie Merk.

Der Vortrag wurde gehalten im Rahmen des Geschichts-Ateliers Elvira, der Geschichts-Werkstatt des Vereins für Fraueninteressen in München.

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